Weltstillwoche (1): Plötzlich frischgebackene Mutter – Höhen und Tiefen einer neuen Lebensphase
Wenn man sich das Erlebnis einer Geburt verdeutlicht, erlebt man oft eine sogenannte Neu-geborenen-Identität über Nacht. Plötzlich ist das neugeborene Kind da, man ist noch überwältigt von der Schwangerschaft und der Geburt selbst – vielleicht lief nicht alles so glatt, wie man es sich erhofft hatte, alles war aufregend und anstrengend zugleich.
In den ersten Tagen verändert sich das Selbstbild einer Frau schlagartig. Von der zuvor be-kannten Rolle (Partnerin, Freundin, Berufstätige, Tochter) hin zur primären Mutterrolle. Diese Neuordnung kann bereits unmittelbar nach der Geburt beginnen, oft begleitet von überwältigender Freude über das neue Wesen, gleichzeitig aber auch Zweifel, ob man auch alles so schafft, wie der eigene Anspruch es einem sagt.
Die Geburt fördert rasch die Bindung zum Kind. Oxytocin, oft „Kuschelhormon“ genannt, wird freigesetzt und stärkt das Vertrauen, das emotionale Band wächst durch Blickkontakt, Haut-kontakt und gemeinsames Stillen. Viele Mütter berichten von einem tiefen Gefühl von Sinnhaftigkeit und Zugehörigkeit, ein ganz neues Gefühl von Bindung und Zusammengehörigkeit.
Sofort kommt es auf neue Kompetenzen an: Stillen, Tragen, Schlafrhythmen lesen – Routinen, die zuvor unbekannt waren, werden zu Kernkompetenzen. Diese Lernprozesse stärken das Selbstwirksamkeitserleben: „Ich kann mich um mein Kind kümmern, ich finde Lösungen.“
Schön ist es dann natürlich auch, wenn familiäre und soziale Unterstützung vorhanden ist. Sei es der Partner, die Familie, die Freundinnen oder die Nachbarn, die praktische Hilfe leisten und den Alltag tragfähiger machen. Kleine Erfolgsrituale (eine ruhige kurze Auszeit, ein gemeinsamer Spaziergang) wirken wie ein Anker.
Optimal ist es aus meiner Sicht für jede Familie, professionelle Unterstützung anzunehmen. Hier gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten: Hebammen, Stillberaterinnen, Frühe Hilfen, begleitete Spielgruppen, Beratungsstellen etc.
All diese Unterstützungsangebote bieten Orientierung, Sicherheit und konkrete Tipps. Und das Wichtigste ist: niemand muss alles von Anfang an können, niemand muss alles alleine bewältigen!
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass verlässliche Unterstützungssysteme den Verlauf der postpartumen Zeit positiv beeinflussen (Reduktion von postpartaler Depression, bessere Still- und Bonding-Ergebnisse, entspanntere Alltagsabläufe und mehr Sozialkontakte). Selbstfürsorge gilt dabei als Grundprinzip: Schlaf trotz Baby, ausgewogene Ernährung, Wasserzufuhr und kurze Bewegungsphasen tragen maßgeblich zur Belastbarkeit bei.
Achtsamkeits- oder Entspannungsübungen unterstützen mentale Stabilität. Verschiedene Tipps, die helfen den Blick auch wieder auf sich als Frau und Mensch zu lenken, können einem sehr dabei helfen sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren und damit Kraft für sich und schlussendlich auch für sein Kind zu tanken.
Wie sagt man so schön: wenn es den Eltern gut geht, geht es auch dem Kind gut.
Natürlich gibt es auch die Schattenseiten der ersten Wochen, die manchmal aus Scham nicht gerne unter Müttern besprochen oder bewusst ausgelassen werden. Daher möchte ich hier diesen Punkt ebenfalls beschreiben.
Für mich persönlich sind es 4 Faktoren, die nach einer Geburt zusätzlich als Belastungsfaktoren auf eine Mutter bzw. Familie einwirken:
1. Die Körperliche Erschöpfung: Der Schlafentzug ist einer der größten Belastungsfaktoren. Selbst bei einer unkomplizierter Geburt kann der Rhythmus von Stillen, Wickeln und Pflege die Nächte enorm reduzieren.
2. Stimmungsschwankungen und emotionale Belastung: Hormonelle Umstellungen gepaart mit Unsicherheiten rund um Stillen, Gewicht, Aussehen oder das „Genau-Richtig-Machen“ führen oft zu gemischten Gefühlen: Freude, Schuldgefühle, Überforderung, Traurigkeit oder Wut wechseln sich ab.
3. Selbstzweifel und Perfektionismus: Viele Mütter messen sich an unrealistischen Idealen („das Baby muss perfekt schlafen“, „ich muss alles richtig machen“). Diese Erwartungen können zu Stress, Selbstzweifeln und Isolation führen.
4. Belastung durch gesellschaftliche Erwartungen: Mutterschaft wird oft mit bestimmten Normen verknüpft (Stillen, „klassische“ Rollenbilder, Aufgaben die erledigt werden müssen). Abweichungen können zusätzlichen Druck erzeugen, insbesondere für al-leinerziehende oder berufstätige Mütter.
Natürlich sind alle beschriebenen Faktoren und Bereiche nur als persönliche Erfahrungen zu verstehen. Nicht jede Mutter empfindet diese gleichermaßen, jeder hat unterschiedlich Voraussetzungen und/oder Persönlichkeiten. Nicht desto trotz kann man sagen, dass gerade die Emotionen sehr unterschiedlich sein können.
Die Unmittelbare Nähe zu dem Kind bspw. erzeugt unbeschreibliche Gefühle von Zärtlichkeit, Dankbarkeit, Stolz – gepaart mit Furcht vor Fehlern oder Versäumnissen.
Die neue Identität kann auch Einsamkeit hervorrufen: Freundschaften verändern sich, die Rückkehr in den Job rückt in den Hintergrund und der Alltag verliert die bekannte Struktur.
Mein kurzer Artikel aus einer Mischung von persönlicher Erfahrung und fachlicher Expertise soll dafür sensibilisieren, dass die Erfahrung einer Geburt und die Zeit danach für jede Mutter eine große, neue Herausforderung und Erlebnis ist. Ganz gleich mit welcher Erfahrung oder fachlichem Hintergrund man in dieses Abenteuer startet.
Mir hat damals sehr geholfen, dass ich glücklicherweise eine Mutter in der Spielgruppe kennenlernen durfte, die sehr offen mit sich und ihren Erlebnissen umgegangen ist. Dies machte es mir leichter mich ihr zu öffnen und mit ihr über Freuden und Ängste zu kommunizieren.
Mein Fazit: Das Teilen von Bedenken, Fragen und Bedürfnissen – ob mit dem Partner, Familien, Freunden oder auch mit Fachpersonen entlastet. Es ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Realismus und Selbstfürsorge.
Kathrin Schwanke, Leiterin des Familienbüros